Mit regenerativem Kraftstoff HVO auf dem Weg zur klimaneutralen Schifffahrt

Non-fossiler Diesel am Bodensee erhältlich. Interboot will Bekanntheitsgrad von HVO erhöhen. Podiumsdiskussion zu Chancen und Hürden der Dekarbonisierung am Bodensee bis 2040.

Es ist ein hocheffizienter Kraftstoff, der weniger CO2 ausstößt und vollständig aus Rest- und Abfallstoffen wie gebrauchten Ölen und Fetten hergestellt wird: Die Rede ist vom sogenannten Klimadiesel HVO100 (Hydrotreated Vegetable Oil). Längst marktreif könnte er von nahezu jedem Dieselmotor ohne Einschränkung verwendet werden. Die internationale Wassersport-Ausstellung Interboot will dazu beitragen, das Produkt vom 25. bis 29. September bekannter zu machen. Die Podiumsdiskussion „Dekarbonisierung am Bodensee – wie geht das bis 2040?“ mit Gesprächspartnern aus Politik, Wirtschaft und Wassersport wird zum Messeauftakt am Mittwoch die Chancen und Hürden der kommenden 16 Jahre aufzeigen. Dann nämlich soll die Schifffahrt auf dem Bodensee klimaneutral unterwegs sein.

Bestehende Infrastruktur an Tankstellen nutzen
In Deutschland, Österreich und der Schweiz grundsätzlich verfügbar, ist Klimadiesel in der Herstellung einige Cent teurer als herkömmlicher Diesel und kostet damit auch an der Säule mehr, da er trotz beschlossener Klimaziele weiterhin genauso hoch besteuert wird. Das sei vollkommen widersinnig, beklagen die Befürworter, zu denen auch Dr. Olaf Toedter vom Karlsruher Institut für Technologie KIT gehört. Eine staatliche Förderung im Sinne von Steuererleichterungen könnte viele Nutzer vom Gebrauch überzeugen. „Die bestehende Infrastruktur an den Tankstellen könnte ohne Umrüstung genutzt werden“, fordert Toedter die skeptischen Betreiber im Sinne der Umwelt auf, das Vertrauen der Endverbraucher aufzubauen, auch ohne Brief und Siegel. Denn: Motorenhersteller könnten aufgrund versicherungstechnischer und haftungsrechtlicher Fragen nicht ohne aufwendige Testverfahren grünes Licht für alle, vor allem ältere Maschinen verbriefen. „An Garantie und Gewährleistung  sowie die allgemeine Betriebserlaubnis knüpft der Gesetzgeber hohe Ansprüche“, erklärt Toedter und betont: „Außer ältere Vorkammer-Aggregate sollten alle Direkteinspritzer HVO ohne jegliche Nachteile vertragen.“ Dem pflichtet Günter Klaiber, Berater für Zukunftskraftstoffe, bei. Neben der enormen Einsparung an klimaschädlichem CO2 senke der synthetische Diesel auch weitere Emissionen von Feinstaub, Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoff (HC) und Stickoxiden.

Zwei Seetankstellen am Bodensee bieten regenerativen Kraftstoff an
Bei Ultramarin in Kressbronn wird schon seit 2023 nur noch „grüner Diesel“ angeboten, was die Kundschaft begrüße, so Geschäftsführerin Sonja Meichle. Sie erwartet schnellstmöglich einen Vorstoß der EU, um die Umstellung konsequent voranzutreiben. Beide Arten können sogar beliebig gemischt werden und dafür sei keine Tankreinigung erforderlich – weder beim Anbieter noch auf den einzelnen Booten. Nachgezogen hat vor kurzem die Seetankstelle im Überlinger See in Wallhausen bei Konstanz. „Die Skipperinnen und Skipper sind begeistert, denn HVO raucht und stinkt nicht“, berichtet Betreiber Luis Wall. „Einige Eigner fahren uns seitdem gezielt an.“ Ihr Aufpreis von rund zwei Cent spiele nahezu keine Rolle, das Umweltbewusstsein der Wassersportler wachse spürbar. Weitere Pluspunkte des regenerativen Kraftstoffs: eine um ein bis zwei Dezibel geringere Geräuschbelästigung bei der Verbrennung, zudem überzeugen die besseren Kälte- und Lagereigenschaften.

„Grüner Diesel“ noch nicht besonders nachgefragt
In der Schweiz wurde HVO trotz höherer ökologischer Anforderungen freigegeben und profitiert dadurch von einer geringeren Besteuerung. Allerdings sind bisher keine Seetankstellen bekannt, die HVO anbieten. „Die breite Bevölkerung kennt das noch gar nicht“, bedauert Thomas Gilgen, Produktmanager beim Lieferant New Prozess AG in Felben-Wellhausen, „obwohl es ein Quantensprung in der Versorgung ist.“ Nach einer Schätzung des Schweizerischen Bootbauer-Verbands ist der Anteil der dieselbetriebenen Bootsmotoren im Lande allerdings deutlich geringer als der mit Benzin.
Auch in Deutschland fristet HVO noch ein Nischendasein, obwohl es seit Mai an allen Straßentankstellen frei verkauft werden darf. Mitte September erfolgte in Hamburg bei der Holborn Europa Raffinerie der Spatenstich für eine GDP (Green Diesel Production), die erste marktrelevante Herstellung in Deutschland.
Ab 2027 sollen hier jedes Jahr 220.000 Tonnen fließen. Der italienische Großproduzent ENI hat eine Produktionsanlage in Afrika gebaut und zahlt sogar für Alt-Fette, so groß ist der Bedarf. Dort, wo die Sonne besonders zuverlässig und intensiv scheint, liegt nach Ansicht von Experten auch die Zukunft des synthetischen Superkraftstoffes, das bis auf geringe Mengen bislang am Markt noch fehlt, für eine vollständige Dekarbonisierung jedoch unerlässlich scheint. Es könnte mit Solarenergie produziert und mit vorhandenen Öltankern auch nach Europa transportiert werden. Vorreiter auf dem Automobilsektor ist der Sportwagenhersteller Porsche, der bereits eine Produktionsstätte in Chile vorangetrieben hat.

„Die Industrie ist beweglich genug, jederzeit aufzustocken“
„Technisch wäre die Herstellung von sauberem Treibstoff ohne weiteres möglich“, meint Nico Winkler vom Kemptener Energieanbieter Präg. „Es bedarf aber große Investitionen der heutigen Mineralölindustrie, die mit Subventionen angeschoben werden könnten.“ Winkler stellt sich der verbreiteten Ansicht entgegen, HVO stehe nur in Kleinstmengen und keineswegs ausreichend für eine Marktabdeckung zur Verfügung. Eine internationale Studie hat Angebot und Nachfrage des weltweiten Dieselbedarfs in der gesamten Mobilität verglichen und kommt zu dem Schluss, dass bereits 40 Prozent aller Selbstzünder klimafreundlich versorgt werden könnten. Winkler ist überzeugt: „Die Industrie ist beweglich genug, jederzeit aufzustocken.“
Bester Beweis ist das finnische Unternehmen Neste, das seine Kapazität von derzeit 5,5 Millionen Tonnen HVO pro Jahr durch den Ausbau einer Raffinerie in Rotterdam bis Ende 2026 auf 6,8 Millionen Tonnen steigern will. Neste wird auf der Interboot am Stand der Internationalen Wassersportgemeinschaft Bodensee (IWGB) informieren. Auch am IWGB-Umwelttag (Samstag, 28. September) wird das Thema synthetische Kraftstoffe mit Dr. Toedter als Referent erläutert.

Infos und Öffnungszeiten
Die Interboot 2024 findet vom 25. bis 29. September statt und hat täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, die Interboard in Halle A5 von Mittwoch bis Freitag von 10 bis 19 Uhr. Tickets kosten online 14 Euro, unter der Woche gibt es außerdem ein vergünstigtes Nachmittagsticket ab 15 Uhr. Die Podiumsdiskussion mit dem Thema „Klimaneutrale Bodenseeschifffahrt – geht das bis 2040?“ findet am 25. 9. von 12 bis 13 Uhr in Halle A3 statt.
Interboot-Homepage: https://www.interboot.de/

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