Wo stehen die Hauptakteure des Vorarlberger Wirtschaftserfolgs, nämlich die arbeitenden Menschen? Welchen Anteil am Erfolg haben sie und wie sieht es mit ihrer sozialen Situation aus? Was gilt es in den nächsten Jahren bei Themen wie Arbeit, Verteilungsgerechtigkeit, Kinderbetreuung, leistbarem Wohnen, oder Bildung zu tun? Antwort auf diese Fragen gibt das aktuelle Standort-Rating der AK Vorarlberg, bei dem das Augenmerk auch auf die Auswirkungen der Corona-Krise gerichtet wurde. „Der Standort Vorarlberg darf von der Landespolitik nicht auf die Sicht der Unternehmen reduziert werden – vielmehr müssen die arbeitenden Menschen im Mittelpunkt stehen“, fordert AK-Präsident Hubert Hämmerle, der unter anderem auf ein Ende der Lohnzurückhaltung, einen Mindestlohn von 1.700 Euro netto oder den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung pocht.
„Geratet“ wird in Wirtschaftskreisen fast alles: Standorte, Unternehmenserfolge, Nachhaltigkeit, Länder, Immobilien oder Märkte. Unberücksichtigt bleiben meist die Hauptakteure des wirtschaftlichen Erfolgs – die arbeitenden Menschen. „Fachkräftemangel, Armutsgefährdung, Arbeitslosigkeit oder leistbares Wohnen werden sich allein mit steigenden Gewinnen und Wirtschaftswachstum nicht bewältigen lassen“, ist AK-Präsident Hubert Hämmerle überzeugt, der darauf verweist, dass die Verteilung von Lohneinkommen und unternehmerischen Gewinnen im Ländle seit Jahren ungleicher als in anderen Bundesländern ist. Gerade einmal 46 Cent pro erwirtschaftetem Euro fließen hierzulande in Lohneinkommen. In Wien sind es knapp über 50 Cent, im Österreichschnitt immerhin 48,5. „Das zeigt, dass den wirtschaftlichen Zusatzgewinn der letzten 20 Jahren großteils die Unternehmer und Kapitaleigner eingestreift haben. In Anbetracht der herausragenden Stundenproduktivität (erster Platz im Bundesländervergleich!) des Standorts Vorarlberg von knapp 52 Euro realem Bruttoregionalprodukt pro Stunde, haben sich die Beschäftigten einen fairen Anteil am Wachstum verdient.
Die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre hat in Österreich zu illustren Exporterfolgen geführt, weil dadurch zum Nachteil anderer Volkswirtschaften ein preislicher Wettbewerbsvorteil lukriert werden konnte. „Gleichzeitig führt eine niedrige Bruttolohnquote aber zu einem reduzierten Inlandskonsum, da den Menschen weniger Geld zum Leben bleibt“, gibt der AK-Präsident zu bedenken. Hämmerle fordert daher ein Ende der Lohnzurückhaltung und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Höhe von 1.700 Euro netto.
„Brennglas“ Corona
Die Corona-Krise hat den Arbeitsmarkt und vor allem die Menschen in längerer Arbeitslosigkeit schwer getroffen. Mehr als ein Viertel aller Arbeitslosen sind bereits länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Ende 2021 waren immer noch um 55 Prozent mehr Langzeitarbeitslose beim AMS gemeldet als vor der Krise. Während der Höhepunkt der gesamten Arbeitslosigkeit zu Beginn der Corona-Krise erreicht wurde, spitzt sich das strukturelle und langfristige Problem der Langzeitarbeitslosigkeit noch weiter zu. „Corona wirkt hier wie ein Brennglas. In Anbetracht dieser Tatsache fordern wir einmal mehr die Schaffung eines so genannten ChancenMarktes, der Langzeitarbeitslosen eine dauerhafte Beschäftigung bietet“, sagt Hämmerle.
Existenzsicherndes Arbeitslosengeld
Während Unternehmen in der Pandemie großzügige Hilfen und Entschädigungen erhielten, haben viele Arbeitnehmer:innen ihren Job verloren und sind dadurch auf fast die Hälfte ihres Einkommens zurückgefallen. Bedingt durch die hohen Lebenshaltungskosten in Vorarlberg reicht das für viele kaum zum Überleben. „Wir fordern deshalb schon seit langem eine Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70 Prozent“, sagt Hämmerle.
„Luxus“ Wohnen
Ungeachtet der durch die Covid-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Einbrüchen in Teilen der Wirtschaft hat die exportorientierte Sachgütererzeugung Vorarlbergs in den vergangenen zwei Jahren Rekordgewinne schreiben können. Das beweist, wie wettbewerbsfähig unsere Industrie- und Gewerbebetriebe sind. „Wer allerdings glaubt, dass dieses Faktum anerkannt und zu einer deutlich besseren Honorierung der hauptsächlichen Akteure dieses Erfolgs – der Arbeitnehmer:innen – beiträgt, irrt“, erklärt AK-Direktor Rainer Keckeis. Man müsse jedes Jahr hart um jedes Zehntelprozent Lohnerhöhung kämpfen.
Andererseits seien die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend damit konfrontiert, dass die Veranlagung von Unternehmensgewinnen in den Grundstücks- und Immobilienmarkt zu einer Preisexplosion am Wohnungsmarkt führt. „Die enorme Auseinanderentwicklung der Löhne und der Preise für das Wohnen führt heute dazu, dass der Eigentumserwerb für den ganz überwiegenden Teil der Vorarlberger Arbeitnehmer:innen verunmöglicht werden“, so Keckeis. Deshalb sei es dringend geboten, den Auswüchsen am Grundstücksmarkt einen Riegel vorzuschieben.
Denn die Realität stellt sich laut dem AK-Direktor folgendermaßen dar: Die durchschnittlichen Haus- und Wohnungspreise sind mit 66 bzw. 55 Prozent in den letzten fünf Jahren in keinem anderen Bundesland so stark gestiegen wie in Vorarlberg. Mietpreise sind nur in Salzburg höher und während der österreichweite Häuserpreisindex (HPI) seit 2010 um fast 80 Prozent gestiegen ist, sind die Bruttomedianeinkommen der Vorarlberger Beschäftigten seit 2010 lediglich um 30 Prozent gestiegen. Besonders dramatisch: Im Gesundheits- und Pflegebereich waren es nur 21,6 Prozent – bei einer Inflation von 20 Prozent!
Kinderbetreuung weiter ausbauen
Beim Thema Kinderbetreuung zeigt sich im Ländle eine durchaus positive Entwicklung, laut Direktor Keckeis braucht es aber auch hier weitere Anstrengungen, denn nur 46,6 Prozent der betreuten Kinder sind in einer Einrichtung die es den Eltern erlaubt, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Das ist zwar eine Verbesserung gegenüber dem Jahr 2018 um mehr als 10 Prozentpunkte, bedeutet aber immer noch den erst fünften Platz im Bundesländervergleich.
Zukunftsthema Bildung
Im Jahr 2020 hatten immer noch 17,8 Prozent der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger im erwerbsfähigen Alter maximal einen Pflichtschulabschluss als höchste abgeschlossene Ausbildung. „Das ist der höchste Anteil im Bundesländervergleich und eine ernstzunehmende Herausforderung für die steigenden Ansprüche am Arbeitsmarkt“, ist Keckeis überzeugt. „Hochtechnologie und Digitalisierung erfordern lebenslanges Lernen und benötigen ein durchlässiges Bildungssystem, das den Weg von Lehre bis Studium ermöglicht.“
Pflegeengpass bekämpfen
Der Pflege- und Pflegepersonalbedarf in Vorarlberg steigt unaufhörlich. Rund 200 Pflegebetten im Land stehen leer, weil ausgebildetes Personal fehlt. Von 2019 auf 2020 sank der Pflegepersonalstand um 363 Personen – und er wird noch weiter sinken. „Unsere Forderung ist deshalb einfach: Entweder werden die erforderlichen Absolventenzahlen von Fachhochschulen und Pflegefachassistenz-Ausbildung erreicht, oder das bisherige Diplom-Ausbildungsmodell wird weitergeführt“, sagt der AK-Direktor. Zudem fordert Keckeis endlich die Umsetzung des AK-Modells für die Anstellung von pflegenden Angehörigen.
Forderungen der AK Vorarlberg
Arbeitsmarkt und Einkommen
– Gesetzlicher Mindestlohn von 1.700 Euro netto bei Vollzeit
– Ende der Lohnzurückhaltung – eine gewinn- und produktivitätsorientierte Lohnpolitik muss sich am mittelfristigen Wachstum der realen gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität und an der Teuerung der letzten Jahre orientieren (Benya-Formel)
– Existenzsicherndes Arbeitslosengeld – Erhöhung der Nettoersatzrate von jetzt 55 auf 70 Prozent
– Aufbau eines „ChancenMarkts“ (3. Arbeitsmarkt), der Langzeitarbeitslose nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft in Beschäftigung bringt
– Gerechtere Finanzierung der Arbeitslosenversicherung – Unternehmen die Beschäftigte beim AMS „Zwischenparken“ und dadurch hohe Kosten verursachen, sollen höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten
Wohnen
– Neugestaltung der Wohnbauförderung – Aufwertung des gemeinnützigen Wohnbaus
– Umwidmungen besteuern – sozialen Wohnbau fördern
– Errichtung eines Bodenfonds durch das Land
Bildung
– Weiterbildung lebenslang fördern
– Mehr Lehrlinge in „Lehre mit Matura“ bringen
Beruf und Familie
– Proaktiver Ausbau der Kinderbetreuung
– Rahmengesetz für Kinderbildung und Kinderbetreuung
Pflege
– Personalengpass wirksam bekämpfen – Beibehaltung des bisherigen Ausbildungsmodells „DGKP“ bis die erforderlichen Absolventenzahlen von Fachhochschulen und Pflegefachassistenz-Ausbildung erreicht werden
– Umsetzung des AK-Modells „Anstellung von pflegenden Angehörigen“
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