Die Alfa Romeo Giulietta prägte über 60 Jahre die Geschichte der legendären Marke

Das neue Modell hatte eine bedeutende Mission – das langfristige Überleben von Alfa Romeo zu sichern. Anfang der 1950er stand das Mailänder Traditionsunternehmen, wie so viele Firmen im Italien der Nachkriegszeit, unter Verwaltung des staatlichen „Istituto per la Ricostruzione Industriale“ (IRI). Generaldirektor Francesco Quaroni stand vor der schwierigen Aufgabe, mit Alfa Romeo den Wandel vom Hersteller exklusiver und entsprechend teurer Luxus- und Sportwagen zum Großserienhersteller zu vollziehen.
Seit der Gründung 1910 waren die in Kleinserien gefertigten Fahrzeuge der „Società Anonima Lombarda Fabbrica Automobili“ (übersetzt etwa Lombardische Automobilfabrik AG, abgekürzt A.L.F.A.) in aufwändiger Handarbeit hergestellte exklusive Produkte und weitgehend der feinen Gesellschaft vorbehalten. Mit dem Entstehen einer Mittelschicht nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Alfa Romeo, wie die Konkurrenz auch, mit der Großserienproduktion auseinandersetzen.
Das Konzept: Rennsport-Technologie für jedermann
Ein erster Schritt in diese Richtung war der 1950 präsentierte Typ 1900. Von dieser Oberklasse-Limousine wurden innerhalb von neun Jahren rund 17.000 Exemplare gebaut. Im Vergleich zu den bisherigen Produktionszahlen bei Alfa Romeo eine gewaltige Anzahl. Doch um die wirtschaftliche Neuorientierung der Marke zu vervollständigen, bedurfte es eines deutlich kleineren, preiswerteren Modells mit viel höheren Stückzahlerwartungen – das Projekt Giulietta wurde gestartet. Allein schon der Name symbolisierte die Aufbruchsstimmung. Zum ersten Mal wurde nicht eine nüchterne Zahl als Typenbezeichnung verwendet. Mit der Modellbezeichnung Giulietta sollten emotionale Assoziationen mit einer jungen Frau geweckt werden.
Unter der Leitung von Chefingenieur Orazio Satta Puliga erfolgte die technische Konzeption und Umsetzung der Baureihe mit dem Code 750. Für die Technik waren Ingenieure zuständig, die zuvor erfolgreiche Rennwagen oder Luxusfahrzeuge vom Schlage eines 6C 2500 entwarfen. Rudolf Hruska, gebürtiger Wiener und seit 1951 für Alfa Romeo tätig, war als Projektleiter zuständig für die Industrialisierung, er koordinierte alle Giulietta Aktivitäten zwischen Entwicklung und Produktion. Das Ergebnis sprach für sich. Und das trotz eines Preises nur knapp über der Hälfte eines Alfa Romeo 1900.
Der Motor für die Giulietta ist mit rund 1.300 Kubikzentimetern Hubraum zwar das bis dahin kleinste Serientriebwerk in der Geschichte von Alfa Romeo. Doch er verkörpert Rennsport-Technologie in Reinkultur. Motorblock, Zylinderkopf und sogar die Gehäuse für das Vierganggetriebe und das Hinterachsdifferenzial wurden aus Aluminium gefertigt. Die Ventilsteuerung übernehmen zwei obenliegende Nockenwellen, die Brennräume haben hemisphärische Form. Auch mit seinem markentypisch kernigen Klang hebt sich der drehfreudige Vierzylinder aus der Menge heraus.
Auch das Fahrwerk behalf sich der Rennsporttechnik. Die Vorderachse wird von doppelten Dreiecksquerlenkern, Federbeinen und einem Stabilisator geführt. An der starren Hinterachse kommen Längslenker und ein zentrales Reaktionsdreieck zum Einsatz. Das Chassis weist einen Radstand von 2.380 Millimeter auf.

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Alfa Romeo Giulietta Sprint – das Coupé machte den Anfang
Die verhältnismäßig neue Konstruktion mit selbsttragender Karosserie sorgte für unerwartete Herausforderungen. Der zunächst für 1954 geplante Serienanlauf der Giulietta Limousine rückte in immer weitere Ferne. Das brachte die Firmenleitung in die Zwickmühle. Zur Finanzierung des neuen Modells war nämlich eine Lotterie unter Kleinaktionären veranstaltet worden, bei der Berechtigungsscheine für die ersten 1.000 Giulietta verlost wurden. Um die Gewinner – und die staatlichen Aufsichtsbehörden – zu beruhigen, entschloss sich Direktor Quaroni zu einem genialen Schachzug. Das zu diesem Zeitpunkt noch im Prototypenstadium steckende Giulietta Coupé sollte vorgezogen werden. Die kleinere Karosserie ließ weniger Probleme mit Verwindungssteifheit und Vibrationen erwarten. Außerdem sollten die Karosserien außerhalb des Stammwerks Portello gefertigt werden.
Die Turiner Designstudios Boneschi, Bertone und Ghia erhielten zunächst die Aufgabe, das Giulietta Sprint genannte Coupé fertig zu entwickeln. Der Entwurf der Allianz Bertone/Ghia setzte sich durch – ein erstes auch gemeinsam gefertigtes Vorserienmodell wurde im April 1954 der Presse vorgeführt. Der 65 PS starke 1,3-Liter-Vierzylinder ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h. Die Resonanz des Publikums war überwältigend, die Bestellungen überstiegen die anfangs geplante Stückzahl schnell um ein Vielfaches.
Kurz nach der Präsentation schied Ghia aus der Partnerschaft aus, Bertone musste die Produktion alleine bewältigen. Aus dem Handwerksbetrieb wurde so innerhalb kürzester Zeit ein Automobilhersteller, der sogar eigene Fertigungsmethoden entwickeln musste. 1961 lief im neuen Bertone-Werk in Grugliasco bei Turin die 20.000 Alfa Romeo Giulietta Sprint vom Band. Inklusive zweiter Serie (ab 1958 mit Schalthebel auf der Mittelkonsole, Getriebe mit Porsche-Synchronisierung, 80 PS Motorleistung für 170 km/h Höchstgeschwindigkeit sowie leicht modifizierter Front) und des 1963 präsentierten Modells Giulia Sprint (im Prinzip eine Giulietta Sprint mit 1,6-Liter-Motor) wurden bis 1965 rund 35.000 Coupés gebaut.
Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce – erfolgreiche Rennversionen
Der Motor der Alfa Romeo Giulietta Sprint war konstruiert worden mit dem Hintergedanken, für Renneinsätze Reserven zu bieten. Dies machte sich nun bezahlt. In der Veloce-Version (ab 1956) mit Doppelvergasern und erhöhter Kompression produzierte das Triebwerk bereits 90 PS. Dank eines mit Hilfe von Hauben und Türen aus Leichtmetall sowie Seitenscheiben aus Plexiglas auf unter 900 Kilogramm gesenkten Gewichtes dominierte das Mailänder Coupé bald bei allen wichtigen Rennen die beliebte 1300er Klasse in der seriennahen Kategorie. Mille Miglia, 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring, Targa Florio auf Sizilien, 12-Stunden-Rennen in Sebring, Bergrennen und Rallyes in ganz Europa, Eisrennen in Schweden – überall räumten die Piloten der Giulietta Sprint Veloce die Siegerpokale ab..
Alfa Romeo Giulietta Sprint Speciale – radikale Aerodynamik
Technisch basiert die Giulietta SZ auf einem aerodynamisch radikalen Entwurf von Bertone-Chefdesigner Franco Scaglione namens Sprint Speciale. Der Erfinder der spektakulären B.A.T.-Mobile auf Basis des Alfa Romeo 1900 kleidete das auf 2.250 Millimeter verkürzte Chassis mit einer extrem stromlinienförmigen Karosserie ein. Sie ist zwölf Zentimeter breiter und 14 Zentimeter länger als das serienmäßige Coupé und hat ein steiler abfallendes Heck. Die vergleichsweise langen Karosserieüberhänge über Vorder- und Hinterachse beeinträchtigen allerdings die Handlichkeit.
Zwar ermöglicht der auf 100 PS leistungsgesteigerte 1,3-Liter-Motor und das neue Fünfganggetriebe trotz des auf 950 Kilogramm gekletterten Leergewichts beeindruckende Fahrleistungen. Allerdings ist der Giulietta Sprint Speciale für Autobahnfahrten mit bis zu 183 km/h deutlich besser geeignet als für kurvenreiche Rennstrecken. Um der rennsporttauglicheren Zagato-Variante nicht in die Quere zu kommen, wurde die Bertone-Kreation deswegen als Luxus-Coupé für Langstreckenfahrten vermarktet.
Etwa 1.250 Stück wurden zwischen 1957 und 1962 verkauft, von 1963 bis 1965 noch einmal rund 1.400 Exemplare der bis auf den 1,6-Liter-Motor nahezu identischen Giulia Sprint Speciale. Auch dieses Modell ist heute ein gesuchter Klassiker in Oldtimerkreisen.

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Alfa Romeo Giulietta Berlina – die Limousine schlägt alle Rekorde
Im Frühjahr 1955 stand die mit Spannung erwartete Limousinen-Variante der Giulietta auf dem Turiner Autosalon. Von diesem Moment an hatte Alfa Romeo endlich ein auch für den normalen Angestellten erschwingliches Auto im Angebot, das bis zu fünf Personen plus Gepäck transportieren konnte. Der Plan von Direktor Quaroni ging auf: Von der Giulietta Limousine wurden bis 1964 über 131.000 Stück verkauft, 1961 war mit einer Produktionszahl von rund 35.700 das Rekordjahr.
Mit 50 PS – ab 1958 mit 53 PS – war der Motor allerdings alles andere als ein Kraftprotz. 1957 legte Alfa Romeo leistungsmäßig nach und stattete die Variante Giulietta TI mit dem 65-PS-Motor des Sprint aus. Das war ganz nach dem Geschmack der Alfa Romeo Fans – im Laufe der Jahre wurden fast drei Mal so viele TI wie Standardversionen verkauft.
Die Buchstaben TI stehen für „Turismo Internazionale“ und geben einen Hinweis auf die Zweitverwendung des Modells als Tourenwagen im Rennsport. Tatsächlich erzielten Privatfahrer mit der Giulietta TI in der Hubraumklasse bis 1.300 Kubikzentimeter vor allem in Italien unzählige Siege.
Im Herbst 1959 präsentierte Alfa Romeo auf der IAA in Frankfurt überarbeitete Versionen sämtlicher Giulietta Derivate (Baureihencode nun 101). Die Front mit den charakteristischen „baffi“ (italienisch für Schnurrbart) erhielt dem Zeitgeschmack entsprechend mehr Chrom. Rückleuchten und Armaturenbrett wurden ebenfalls modernisiert. Außerdem wurde die Benzinpumpe nun nicht mehr am Zylinderkopf sondern am Motorblock montiert. Mit einer weiteren Modellpflege 1961 stieg die Leistung für die Limousine unter anderem dank eines elektrischen Kühlerventilators auf 62 PS, bei der Giulietta TI sogar auf 74 PS. Außerdem war die sportlichere Mittelschaltung mittels Hebel auf dem Kardantunnel – statt am Lenkrad – nun Serie.
Bei der Carrozzeria Colli wurden zwischen 1959 und 1960 rund 90 Berlina zu sechssitzigen Kombis umgebaut, die den Namen Giardinetta Promiscua tragen. Die Karosserie entspricht der zu diesem Zeitpunkt neuen Baureihe 101, die Motoren stammen allerdings noch von der alten Modellversion

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