„Die Kinder sind das Wichtigste!“, das ist zusammenfassend die klare Botschaft aus der vorliegenden Studie. „Kinder haben ein Recht auf gutes Aufwachsen, sie haben ein Recht auf Teilhabe, Mitbestimmung und faire Bildungs- und Lebenschancen“, legt sich Dominic Götz aus der AKGrundlagenarbeit fest, dass endlich gehandelt werden muss, wo es schon lange nichts mehr zu verhandeln geben darf: Der Zukunft unserer Kinder und damit der Zukunft unserer Gesellschaft.
Vor fast genau einem Jahr hat die AK Vorarlberg die Studie „Frühe Bildung in Vorarlberg – Chancengerechtigkeit durch Bildung von Anfang an“ präsentiert. „Damals haben wir bereits nachdrücklich gefordert, dass endlich erkennbare und zukunftsfähige Schritte gesetzt werden müssen und elementare Bildungseinrichtungen als Teil des österreichischen Bildungssystems anerkannt und dementsprechend verankert werden müssen“, erinnert Götz an die umfangreichen Empfehlungen der Studie. „Mit der heute präsentierten Studie möchte die AK Vorarlberg nicht nur den Kindern eine Stimme geben, sondern auch allen Fachpersonen der Elementarpädagogik“, freut sich Dominic Götz, dass auch für diese Forschungsarbeit die renommierte Sozialwissenschafterin, Dr.in Eva Häfele gewonnen werden konnte.
Bildungsauftrag verdeutlichen
Während der Covid-Pandemie hat sich eine starke Tendenz in der öffentlichen Wahrnehmung gezeigt: Die elementarpädagogischen Einrichtungen gelten lediglich als Betreuungs- und weniger als Bildungseinrichtungen. „Hier muss sich die öffentliche Meinung ändern und ein Bewusstseinswandel herbeigeführt werden“, appelliert Götz und verdeutlicht, dass die frühe Bildung die wichtigste Grundlage für den weiteren Bildungsverlauf des Kindes ist.
„Kleinkinderbetreuung und Kindergarten müssen das Image der bloßen Betreuung loswerden und sich im öffentlichen Diskurs als Bildungsinstitutionen positionieren“, ist Götz ein großes Anliegen und sieht diese Aufgabe bei Politik, Verwaltung, den Ausbildungsstätten und den Fachkräften der Elementarpädagogik selbst.
Kinderbildung eine Riesenchance
Auch Eltern sollte laut Götz immer deutlicher bewusst werden, dass institutionelle Kinderbildung eine Riesenchance für alle Kinder bedeutet, wenn sie qualitativ hervorragend ist, über genügend und sehr gute Fachkräfte verfügt und für alle Familien und ihre Kinder keine finanzielle Belastung darstellt.
„Immerhin bezahlen die Eltern die ihnen und ihren Kindern zustehenden frühen Bildungsjahre bereits größtenteils über ihre Steuern“, so Götz und es sei auch kein Mythos mehr, dass sehr gute Kinderbildung in Wirklichkeit nicht mehr kostet, sondern sich jeder zusätzlich investierte Euro volkswirtschaftlich mehr als nur rechnet.
Für den Volkswirtschaftler schaffen frühkindliche Betreuungs- und Bildungsangebote nicht nur mehr Wahlfreiheit für Familien mit Kindern, „sie sind zudem ein entscheidender Faktor der Bildungsförderung in den ersten Lebensjahren“.
Wohl der Kinder im Mittelpunkt
„Der nun vorliegende Forschungsbericht soll einen Beitrag zur Dokumentation und Analyse einer ganzen Bandbreite von Themenfeldern leisten und damit auch einen Lern- und Wissenstransfer ermöglichen, der allen Einrichtungen elementarer Bildung zugutekommt“, erläutert Dr.in Eva Häfele und weist darauf hin, dass die Covid-19-Pandemie noch nicht als beendet betrachtet werden kann, jedoch negative sowie einige positive Auswirkungen der Tendenz nach sehr wohl abzusehen sind.
„Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie in den Einrichtungen hat nicht nur den Umgang mit einschränkenden oder negativen Faktoren erfordert, sondern auch positive Erfahrungen und Ergebnisse gezeigt, die in der Zukunft fruchtbar gemacht werden können“, nennt Häfele einen wesentlichen Output der Studie.
„Mehr als 150 Leitungspersonen von Einrichtungen der frühen Bildung haben einen umfangreichen Fragebogen beantwortet“ zeigt sich die Sozialwissenschafterin von der Beteiligung an der Studie positiv überrascht. „Besonders erfreulich war, dass auch viele in den Städten und Gemeinden für elementarpädagogische Einrichtungen zuständige Koordinator:innen an der Befragung teilgenommen haben“, sieht Häfele ein großes Interesse der Expert:innen an den Ergebnissen dieser Studie.
„Dass es den Kindern gut geht, dass das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht, dass auch unter schwierigen Umständen ein gutes Stück Normalität gelebt wird, dass die Chancengerechtigkeit im Hinblick auf Bildung gesichert bleibt, dass die soziale Isolation und deren Auswirkungen auf die Kinder so gering wie möglich sind“, nennt Dr.in Eva Häfele als die zentralen Anliegen der Elementarpädagog:innen während der Covid-19-Pandemie.
Der tagtägliche große Einsatz für diese Werte unter den einschränkenden und belastenden Bedingungen der Pandemie ist von der Öffentlichkeit ebenso wie von der Politik zu wenig wahrgenommen und wertgeschätzt worden, ist laut Häfele die durchgehende Meinung der befragten Interviewpartner:innen.
Brennglas auf Systemschwächen
Die in der Fachwelt seit langem diskutierten einschränkenden Faktoren sind durch die Covid-19-Pandemie noch deutlicher sichtbar geworden: „Die Anerkennung der elementarpädagogischen Einrichtungen als unverzichtbare erste Bildungseinrichtungen, der Mangel an Fachpersonen in der frühen Bildung, der Fachkraft-Kind-Schlüssel, die Gruppengrößen und eine angemessene Entlohnung“, zeigt Eva Häfele nur die wichtigsten dieser Faktoren auf. Ganz besonders betont Häfele, dass die Handlungsfelder für Maßnahmen aus der AK-Studie „Frühe Bildung in Vorarlberg. Chancengerechtigkeit durch Bildung von Anfang an“ noch einmal bestätigt wurden und pflichtet Dominic Götz bei, dass endlich zukunftsfähige Schritte gesetzt werden müssen.
Aufhebung aller Zugangsbeschränkungen
„Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie haben deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine durchgängige Aufhebung von Zugangsbeschränkungen wäre“, so Häfele. Diese bestehen gegenwärtig aufgrund des fehlenden Erwerbsstatus der Eltern oder des Familienstatus (Karenz, Mutterschutz) und abhängig vom Wohnort der Eltern. „Im Sinne des Bildungsauftrages und der Chancengerechtigkeit sollten daher die Einrichtungen der frühen Bildung allen Kindern zu jeder Zeit offenstehen“, fordert Häfele und stützt sich dabei auf die Ergebnisse der Befragung.
Herausforderung Personalmanagement und Personalmangel
„Der schon vor der Pandemie bestehende Mangel an Fachpersonen führte die Elementarpädagog:innen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit“, zeigt Dr.in Eva Häfele die Realität in den Einrichtungen auf und erläutert, dass die Leitungspersonen und Koordinator:innen einen großen Teil ihrer Arbeit dem laufenden Personalmanagement widmen mussten. Für die Elementarpädagog:innen war die Arbeit mit pandemieinduzierten Kleingruppen eine Erfahrung, die auch weiterhin für die pädagogische Qualität und die Bildungsarbeit fruchtbar gemacht werden kann. Insofern sieht Häfele auch viele positive Aspekte bei aus der Not entstandenen Maßnahmen zur Pandemiebewältigung.
Eine weitere positive Wirkung, die sich aus der gemeinsamen Bewältigung der pandemiebedingten Herausforderungen ergab, ist die Stärkung des Zusammenhalts in den Teams durch die Notwendigkeit von Flexibilisierung, gegenseitiger Unterstützung bei Ausfällen von Teammitgliedern sowie der Notwendigkeit einer Kommunikation auch über kontroverse Themen. Für Häfele ist es unabdingbar, dass „zukünftig administrative Aufgaben reduziert werden müssen, damit so wieder mehr Zeit für Bildungs- und Betreuungsaufgaben frei wird“.
Umfassender Infektionsschutz der Mitarbeiter:innen
Die Mitarbeitenden in den elementarpädagogischen Einrichtungen sind durch ihre Arbeit mit den Kindern einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Einrichtungen privater wie öffentlicher Träger sollten daher alle erforderlichen Schutzmaterialien von Masken über ausreichend Test-Kits bis zu Sanitäts- und Hygienematerial kostenlos und bedarfsgerecht zur Verfügung haben. „Dies auch in Hinblick auf mögliche Verschärfungen in den kommenden Herbst- und Wintermonaten“, mahnt Häfele eine rechtzeitige Planung ein.
Digitalisierung nutzen
Eine große Chance für die Zukunft sieht die Studienautorin in der Digitalisierung, die die Kommunikation und Information in den Einrichtungen der frühen Bildung verändert und neu ausgerichtet hat und appelliert: „Dieser Digitalisierungsschub muss auch in einer covidfreien Zukunft genutzt werden, in der Elternarbeit, in der Kommunikation mit Team, Träger und externen Einrichtungen sowie in der Fortbildung.“ Häfele sieht dabei großen Nachholbedarf in einer guten Ausstattung der Einrichtungen mit Hard- und Software und einer entsprechend digitalen Qualifizierung der Nutzer:innen.
Positive Erfahrungen der Elternarbeit mitnehmen
„Neben dem Personalmanagement erforderte die Intensivierung und Digitalisierung der Elternarbeit den meisten Einsatz“, stellt Eva Häfele fest und sieht dazu sowohl negative aber auch positive Aspekte, wie beispielsweise die Wertschätzung der Arbeit durch die Eltern. Eva Häfele erwähnt in Bezug auf die Eltern aber auch die von den Leitungspersonen oft angegebene fehlende Bereitschaft, an den Maßnahmen mitzuwirken. „Das hat die Arbeit für die Fachkräfte oft sehr mühsam gemacht“, identifiziert Häfele ein Verbesserungspotenzial für den kommenden Herbst und Winter.
„Die Einrichtungen möchten jedenfalls die positiven Erfahrungen in die Zukunft mitnehmen“, sagt Häfele und führt die Möglichkeiten auch gleich an: „Neue Formate in der Elternarbeit wie Geh-Spräche, WhatsApp-Gruppen für die rasche Informationsübermittlung, der Einsatz von Videokonferenztools und die Nutzung sozialer und digitaler Kanäle für Homeschooling der Kinder, wenn sie die Einrichtung nicht besuchen können (Videos mit Geschichten, Liedern, Werk-, Spiel- und Lernideen).“ Häfele stellt aber auch klar, dass dies natürlich die Ausstattung auf Seiten der Eltern wie der Einrichtung mit Hard- und Software voraussetzt.
Stärkung der Führungskompetenz
„Die Organisation und Umsetzung der Covid-19-Schutzmaßnahmen hat von Leitungspersonen und Koordinator:innen einen besonderen Einsatz erfordert, der oft bis weit ins Wochenende ging“, stellt Eva Häfele fest und verweist hier auf die Bereiche des Personalmanagements, der Elternarbeit und der externen Kommunikation.
Die Leitungspersonen mussten zu einem erheblichen Teil persönliche Führungsverantwortung übernehmen, permanent erreichbar sein und weitreichende Entscheidungen treffen. „Es braucht mehr Fortbildung in Managementthemen, um die Führungskompetenzen den steigenden Anforderungen entsprechend weiterzuentwickeln“, so Häfele und sieht auch eine entsprechende Abgeltung der zusätzlichen Qualifizierung der Leitungsarbeit als notwendig und vertretbar. „Als Sozialwissenschafterin war diese Studie für mich ein großes Anliegen“, freut sich Dr.in Häfele über die hervorragende Resonanz der Leitungspersonen und Koordinator:innen in den Kommunen und hofft sehr, dass dieser Bericht von den politisch Verantwortlichen gelesen wird und die notwendigen Maßnahmen gesetzt werden.
„Die vorliegende Forschungsarbeit ist gleichsam Analyse und praktisches Handbuch“, sieht Dominic Götz in den Ergebnissen des Berichts großes Potenzial für Maßnahmenentwicklungen. „Wir maßen uns nicht an, der Politik zu sagen, was sie in puncto frühe Bildung zu tun hat. Das haben wir auch mit den Empfehlungen aus der letztjährigen Studie nicht beabsichtigt. Sehr wohl aber fordern wir und das sehr nachdrücklich, dass die Anliegen und Wahrnehmungen der Fachkräfte in den Einrichtungen ernst genommen und bei allen politischen Überlegungen und Entscheidungen berücksichtigt werden“, so Götz und ergänzt: „Eine Rückmeldung aus der Befragung von Eva Häfele bringt die Situation des Elementarbereichs klar zum Ausdruck“:
„Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Einrichtungen der frühen Bildung in unserer Gesellschaft nicht oder viel zu wenig gesehen werden. Es war schwer zu ertragen, ständig die Diskussionen um die Schulen zu hören und selbst nicht wahrgenommen zu werden. Wir brauchen deshalb Menschen, Institutionen und die Politik, die auf uns aufmerksam machen und uns unterstützen. So ein Fragebogen kann vielleicht der Beginn einer solchen Wende sein. Danke dafür!“
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