Mehr Transparenz in Vorarlbergs Elementarbildung

Mit der Vision, Vorarlberg bis 2035 zum chancenreichsten Lebensraum für Kinder zu machen und dabei auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen, hat das Land ein Ziel ausgerufen, das die Industriellenvereinigung gänzlich unterstützt. Um es zu erreichen, muss jedoch an vielen Schrauben gedreht werden; eine ganz wichtige davon ist ohne Zweifel die Kinderbildung und -betreuung. Flächendeckende, qualitativ hochwertige Elementarbildung fördert nicht nur die Jüngsten selbst, sondern sie ermöglicht auch den Eltern, autonome Entscheidungen in Sachen Beruf und Unabhängigkeit zu treffen. Mit dem Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (KBBG) wurde ein Schritt in diese Richtung gesetzt, wenn auch in einigen Bereichen nur ein kleiner.

 „IV-Dashboard Elementarbildung“ für mehr Transparenz
Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um hier objektive Planungsschritte setzen zu können, ist sicher eine transparente und möglichst aktuell aufbereitete Datenlage als Entscheidungsbasis. Welche Daten hervorgehoben werden, spielt dabei eine große Rolle. „Entscheidungsträger sprechen derzeit hauptsächlich von der Betreuungsquote als Grundlage für die Bewertung des Ist-Standes. Diese Quote ist aber nicht sonderlich aussagekräftig, da sie viele Faktoren nicht berücksichtigt – sagt sie doch kaum etwas über das Ausmaß oder die Qualität der Betreuung aus. Wir müssen beginnen, uns auf die Betreuungsstunden und auf die VIF-Konformität von Einrichtungen zu fokussieren und diese als Gradmesser für flächendeckende Kinderbetreuung und -bildung zu sehen,“ so Martin Ohneberg, Präsident der IV-Vorarlberg. Der VIF-Indikator wurde 2006 von der Arbeiterkammer entwickelt und beschreibt die Qualitätskriterien für eine Einrichtung (wie u.a. mindestens 47 Wochen geöffnet, mindestens 45 Stunden pro Woche und 9,5 Stunden am Tag geöffnet, verfügbares Mittagessen), die eine Vollzeit-Anstellung beider Elternteile ermöglichen.
Das von der IV-Vorarlberg entwickelte „Dashboard Elementarbildung“ veranschaulicht dabei die aktuelle einschlägige Datenlage in Vorarlberg, so Christian Zoll, Geschäftsführer der IV-Vorarlberg: „Die Transparenz der vorhandenen Daten ist ein wichtiger Schritt, um einerseits die Verantwortlichen in der Entscheidungsfindung zu unterstützen, andererseits aber auch um die Öffentlichkeit zu informieren. Es werden immer wieder unterschiedlichste Zahlen genannt, eine wirkliche Übersicht für eine Daten-orientierte Diskussion gibt es aber nicht. Mit unserem Dashboard kann man nun auf einen Blick sehen, in welcher Altersgruppe wieviel Prozent der Kinder in einer Einrichtung betreut sind, die eine Vollzeit-Anstellung beider Eltern (VIF-Konformität) ermöglicht.“ Auch die einzelnen Regionen und Gemeinden mit ihren verfügbaren Einrichtungen werden im Dashboard abgebildet. „Von den bestehenden 471 Einrichtungen sind rund ein Drittel VIF-konform. Diese befinden sich hauptsächlich im Rheintal, in der Hälfte der Regionen in Vorarlberg gibt es derzeit keine einzige VIF-konforme Einrichtung. Dadurch sind Eltern auf die Einrichtungen im Ballungsgebiet angewiesen, was zu oft eine große Herausforderung darstellt und zur Landflucht hoch-qualifizierter Young-Professionals aus den ländlicheren Gebieten in die Städte beiträgt“ so Zoll. Um ein Beispiel zu nennen: während der Anteil VIF-konformer Einrichtungen im Rheintal bei immerhin bei 45 % liegt, sind es im Bregenzerwald lediglich 2% – dies entspricht einer einzigen der 42 Einrichtungen im Bregenzerwald. 

KBBG nur ein erster Schritt in Richtung Ziel
Mit dem Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dem „Chancenreichsten Lebensraum für Kinder bis 2035“ vor Augen, hat die IV-Vorarlberg in einem breiten Prozess mit zahlreichen Industrie-Betrieben und weiteren Partnern und Experten das in Begutachtung befindliche Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz evaluiert. Dabei zeige sich ein durchwachsenes Bild, so Ohneberg: „Das neue KBBG in der jetzigen Fassung beinhaltet zwar einige gute Schritte, der große Wurf ist aber zum Bedauern aller Stakeholder ausgeblieben. Wir hätten uns in einigen Fragen, insbesondere in der Betreuung der unter 3-Jährigen, mehr Mut und Entschlossenheit gewünscht.“
Durchaus positiv sieht die IV-Vorarlberg die Rahmenbedingungen für die Betreuung der 3- bis 5-Jährigen und die altersübergreifenden Gruppen, so Katharina Rhomberg-Shebl, Vorsitzende der Jungen Industrie: „Mit den Öffnungszeiten von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr und den maximal vier Wochen Schließtagen ist in dieser Altersgruppe die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei einer Umsetzung im ganzen Land flächendeckend gegeben. Auch die Ermöglichung von altersübergreifenden Gruppen ist eine gute Möglichkeit, um insbesondere zu Randzeiten Lösungen in der Betreuungsfrage zu finden.“
Dringenden Handlungsbedarf sieht Rhomberg-Shebl jedoch in der Betreuung der unter 3-Jährigen: „Der Versorgungsauftrag sieht bei 2-Jährigen eine Betreuung von „höchstens“ 5 Stunden vor. In der Praxis bedeutet das, dass ein Elternteil ohne familiäre Unterstützung nicht Vollzeit arbeiten kann. Auch wenn es Einrichtungen gibt, die über diese 5 Stunden bereits jetzt hinaus gehen, ist das gerade in Regionen außerhalb des Rheintals ein großes Problem. Bei den unter 2-Jährigen gibt es gar keinen Versorgungsauftrag, obwohl der Bedarf da ist und immer größer wird. Diese Lücke muss dringend geschlossen werden.“
Kritisch sieht Rhomberg-Shebl außerdem die mangelnde rechtliche Handhabe beim Versorgungsauftrag: „Wir wünschen uns einen rechtlich bindenden Auftrag an die Gemeinden in der Frage der Betreuung. Auch wenn wir glauben, dass die meisten Gemeinden bemüht sind, den Auftrag zu erfüllen, gibt es keine Konsequenz für einen Gesetzesbruch außer eine zahnlose Aufsichtsbeschwerde. Wenn wir es ernst meinen, braucht es hier größeren Druck.“ In diesem Zusammenhang sieht Rhomberg-Shebl eine zentrale Rolle in der Bedarfserhebung: „Die Gemeinden führen innerhalb ihres Ortes eine Bedarfserhebung durch, die in jeder Gemeinde anders ausschaut, teilweise noch immer mit Suggestiv-Fragen. Ziel muss es aber sein, diese Bedarfserhebung Vorarlberg-weit zu vereinheitlichen, die Ergebnisse zu veröffentlichen und um eine objektive, datenbasierte Angebotsplanung zu ergänzen. Auch so wird der Druck erhöht, dem Versorgungsauftrag nachzukommen.“
Auch die Wahlfreiheit und Flexibilität sei im neuen Gesetz noch nicht ausreichend abgebildet, so Rhomberg-Shebl: „Im neuen Gesetz ist primär die Wohnort-Gemeinde für den Betreuungsplatz verantwortlich, erst wenn der Bedarf nicht erfüllt wird, soll es zu einer interkommunalen Kooperation kommen. Wir wünschen uns größtmögliche Flexibilität und Wahlfreiheit für die Arbeitnehmer:innen, bei der auch ein Betreuungsplatz in der Arbeitsgemeinde in Anspruch genommen werden kann. Auch bei der Frage, ob eine private oder öffentliche Einrichtung gewählt wird, braucht es vollständige Gleichwertigkeit der beiden Formen – auch das muss sich in den Grundsätzen des Gesetzes widerspiegeln.“ Diese Flexibilität brauche es auch bei einem Betreuungsbedarf, der unterjährig entsteht. „Nicht jeder Elternteil beginnt nach einer Karenz mit September wieder zu arbeiten. Dementsprechend braucht es auch für einen unterjährigen Einstieg größtmögliche Flexibilität. Diesen Spielraum gibt es in der Praxis nur teilweise, zu oft aber nur verbunden mit großen organisatorischen Hürden. Hier brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen, der die Lebensrealität der Eltern abbildet,“ so Rhomberg-Shebl.

Klarer Plan bis 2035 gefordert
Auch wenn das in Begutachtung befindliche Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung sei, fehle hier der Plan bis zur Vision des Chancenreichsten Lebensraum für Kinder bis 2035, so Ohneberg: „Das Land hat mit zahlreichen Partnern dieses gemeinsame Ziel ausgerufen. Ich vermisse aber die klare Strategie, wie wir bis 2035 dorthin kommen. Auch wenn aufgrund gewisser Gegebenheiten nicht sofort alles machbar ist, erwarten wir uns einen klaren Plan mit zu erreichenden Milestones.“ Transparenz und eine datenbasierte Sichtweise sind auf dem Weg dorthin entscheidend. „Ich wünsche mir von allen Beteiligten, allen voran vom Land und den Gemeinden, dass wir uns zu einem datenbasierten und transparenten Zugang bekennen und klare Fakten für die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger:innen schaffen, von der Erhebung des Bedarfs bis hin zur Erfüllung oder Nicht-Erfüllung dieses Bedarfs,“ so Ohneberg abschließend.

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