Neues von der Motorradwelt Bodensee 2017

Pressekonferenz anlässlich der Motorradwelt Bodensee 2017.

Es wird ein ganz besonderes Jahr werden, das bereits begonnene Jahr 2017. Denn seit Januar gilt im gesamten EU-Raum die neue Zulassungsnorm Euro 4 für alle Motorräder.


Neben den deutlich niedrigeren Geräusch-(minus drei Dezibel) und Abgaswerten (minus 40 Prozent) kommt eine allgemeine ABS-Pflicht hinzu. Dabei mag schon ein relativ einfaches System genügen, das lediglich auf das relevante Vorderrad wirkt. Bei Zweirädern bis 125 ccm, bei denen die Kosten naturgemäß niedrig gehalten werden sollen, darf es statt einem ABS ein Integral-Bremssystem sein, das auf beide Räder wirkt. Die meisten Motorräder sind allerdings mit dem wirkungsvolleren Zweikreis-System ausgestattet. Von der ABS-Pflicht sind nur extrem sportliche Motorräder für den Trail- und Enduro-Wettkampf ausgenommen, wo dies wenig Sinn machen würde. Zusätzlich werden künftig seitliche Rückstrahler gefordert sowie die Möglichkeit der Onboard-Diagnose mittels Steckdose und ein paar weitere technische Besonderheiten. Künftig ist dafür ein elektronisches Motormanagement samt Regelung des Katalysators erforderlich.
Das zwingt viele Marken dazu, ältere Modellbaureihen einzustellen, weil es sich nicht mehr rentiert, diese noch einmal anzupassen. An deren Stelle treten bei vielen Marken ganz neue Fahrzeuge, und das hat in diesem Jahr eine wahre Modellflut zur Folge.
Am aktivsten sind dabei die Ingenieure bei der italienischen Marke Ducati gewesen, die ja zu Audi und damit zum VW-Konzern gehört. Ganze sieben neue Modelle hat Ducati neu im Programm. Die erst zwei Jahre alte Scrambler als Vertreterin der Retro-Welle, die bei Ducati unter „Post Heritage“ läuft, ist mit knapp 1100 Einheiten die in Deutschland meistverkaufte Ducati und bekommt für diese Saison zwei wunderschöne neue Varianten hinzu, die Cafe Racer und die Desert Sled, das meiner Meinung nach schönste Motorrad auf der „Motorradwelt Bodensee“. Es erinnert mich stark an die Yamaha XT 500 aus den siebziger Jahren. Neu ist auch die Supersport, deren Name Erinnerungen an Ducatis legendäre Königswellen-Modelle der 1970er Jahre weckt. Entgegen dem Sinn des Wortes „Supersport“ ist sie jedoch wesentlich weniger extrem als die radikal-sportliche Ducati Panigale und soll im Alltag deutlich angenehmer zu handhaben sein.
Weit gefächert ist die Modellpalette von BMW, die meisten Maschinen sind aktuell und müssen wegen der neuen Normen nicht aufwändig erneuert werden. Nach dem meistverkauften Motorrad Deutschlands, der R 1200 GS (knapp 7000 Stück), zu der sich neue Derivate (Rallye und Exklusive) dazu gesellen, steht auf Platz vier der Zulassungszahlen mit über 2500 Stück bereits die R nine T. Diese Retro-Modellreihe ist von BMW „New Heritage“ getauft worden. Dort gesellen sich in diesem Jahr weitere Ausführungen dazu, die Racer und die Urban G/S. Beide Maschinen mit dem luft-ölgekühlten Boxermotor nehmen gestalterische Anleihen an Motorrädern der eigenen Geschichte, an der R 90 S ab 1973 und der Ur-Enduro R 80 G/S ab 1981. Dazu kommt auch noch die Pure, eine günstigere Version der sehr hochwertigen R nine T.
Das am dritthäufigsten verkaufte Motorrad stellte im Jahr 2016 Kawasaki mit der ER-6n (über 2600 Stück). Dieses erfolgreiche Naked Bike der Mittelklasse bekommt eine rund um den bewährten 650er-Zweizylinder-Motor komplett neu entwickelte Nachfolgerin, die nun das Kawasaki-typische „Z“ im Namen trägt, die Z 650. Sie wurde etwas aggressiver gestaltet und vor allem um fast 20 Kilogramm erleicht gegenüber der auch nicht gerade pummeligen Vorgängerin und ist daher deutlich agiler zu handhaben. Neu auch deren verkleidete Schwester, die Ninja 650, die damit die bisherige ER-6f ersetzt.
Während Kawasaki das Modellangebot in diesem Jahr deutlich geschrumpft hat, baut der in Deutschland erfolgreichste japanische Hersteller Yamaha sein Angebot eher aus. Der seit drei Jahren eingeschlagene Weg hin zu kundenorientierten, praxisnahen Motorrädern mit einem emotionalen Touch macht sich inzwischen bezahlt. 2014 kam die erste Maschine unter dem Motto „The Dark Side of Japan“ auf den Markt. Es handelte sich um das sportlich-flinke Naked Bike MT-09, das sofort weg ging „wie die warmen Semmeln“, und dem inzwischen weitere Motorräder gefolgt sind. Darunter auch die MT-07, die auf Rang zwei der Zulassungsstatistik rangiert (3400 Stück). Bereits für die kommende Saison, also nach drei Jahren, wurde die MT-09 mit dem charismatischen Dreizylinder-Motor in vielen Punkten, auch im Design, überarbeitet.
Honda hat sich ebenfalls der Aufgabe gestellt, luftgekühlten Motoren weiterleben zu lassen, obwohl sich deren Umstellung auf die neue Euro-4-Norm aus thermischen Gründen besonders schwierig gestaltet. Honda baut das Angebot mit den Motoren mit den attraktiven Kühlrippen dennoch aus: Zur nostalgischen CB 1100 EX, die mit ihrem Vierzylindermotor technische und auch optische Anleihen an der legendären CB 750 aus den Siebzigern nimmt, gesellt sich nun noch die CB 1100 RS mit modernerem Fahrwerk hinzu. Laut Entwicklungschef Mitsunobu Imada will Honda das inzwischen einzigartige Motorkonzept mindestens zehn weitere Jahre aufrecht erhalten.
Auch Honda gibt bei den Superbikes richtig Gas: Seit Jahren haben die Fans auf ein neues Modell der Fireblade gewartet. Nun kommt sie, und das gleich in drei Varianten: in der Basis-Version, in der sportlicheren SP-Version und in einer SP2 als Basis für Rennmotorräder.
Ein neues Segment begründet Honda mit dem X-Adv, einem Zwitter mit 55-PS-Twin aus Roller und Enduro für Stadtkomfort und Geländespaß.
Als vierter der japanischen Hersteller hinkt Suzuki derzeit etwas hinterher. Neue Anläufe, mehr vom Kuchen der Motorradverkäufe in Deutschland zu ergattern, werden mit dem stark überarbeiteten Superbike GSX-R 1000 gestartet. Auch beim Nachwuchs setzt Suzuki an: In der 125er-Klasse für die Sechzehnjährigen soll die neue GSX-R 125 soll laut Suzuki über „das beste Leistungsgewicht der Klasse“ verfügen. Das heißt: der stärkste Motor beim niedrigsten Gewicht. Das entsprechende unverkleidete, ebenfalls brandneue Roadster-Modell trägt den Namen GSX-S 125.
Beim amerikanischen Hersteller Harley-Davidson trägt man der neuen Euro-4-Rechnung, indem die schweren Tourenmaschinen im Stile der Electra Glide und der Road King einen komplett neuen Zweizylindermotor mit Vierventiltechnik erhalten, je nach Modell teils mit Wasserkühlung, teils mit Ölkühlung, und mit 1745 ccm oder 1868 ccm. Diese Motoren wurden auf den Namen „Milwaukee Eight“ getauft, und um das Design der Harley-Tourer nicht zuverändern, werden die Kühler wirkungsvoll verborgen.
Beim englischen Hersteller Triumph musste die „Modern Classic“-Baureihe ebenfalls komplett überarbeitet werden und erhielt nun wassergekühlte Motoren mit ebenfalls geschickt versteckten Kühlern. Das hat den bisher etwas phlegmatischen, luftgekühlten Modellen aber deutlich gut getan. Die bereits im letzten Jahr neu gekommenen Bonneville- und Thruxton-Modelle mit dem 1200er-Twin und die 900er Street Twin konnten auf Anhieb voll überzeugen und erhalten in diesem Jahr neue Schwestermodelle: einen modischen Bobber mit Einzelsitz, den obligatorischen Scrambler und eine sportlich angehauchte Street Cup.
Bei den immer besser verkauften KTMs aus Österreich werden die bewährten Motorräder in der Technik und in der Gestaltung weiterentwickelt. Der Designer Gerald Kiska hat wieder deutlich Hand angelegt und die Linien noch einmal verschärft. Von den großen Motorrädern vom Schlage der Reise-Enduro Super Adventure werden künftig noch mehr Varianten angeboten, das radikale Naked Bike 1290 Super Duke R ist noch aggressiver, gleichzeitig aber handzahmer, je nach Bedarf und Lust des Fahrers. Neues Design gibt es auch für die Einzylinder-Duke 390 und 125.
Aus dem italienischen Hause Piaggio kommen die neuen Aprilia-Modelle Shiver 900, Dorsoduro 900 und Tuono 125 sowie die dritte Generation der klassischen Moto Guzzi V7-Reihe.
Und aus der Versenkung ist auch wieder die fast vergessene italienische Marke Moto Morini aufgetaucht, deren Corsaro 1200 ZZ ebenfalls für die Euro-4-Norm aufgefrischt worden ist.
Noch ein paar interessante Fakten zum vergangenen Jahr 2016; Wieder gab es insgesamt ein deutliches Plus an Zulassungen gegenüber dem Vorjahr. Rechnen wir alle Fahrzeuge einschließlich  125 ccm zusammen, kommen wir auf knapp 173.000 Einheiten, ein Plus von 14,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Sicher ist dies zu gewissem Teil der neuen Norm geschuldet, denn Fahrzeuge nach Euro 3 dürfen ab dem 1. Januar nicht mehr neu zugelassen werden, von Ausnahmen abgesehen. Deshalb wurden im vergangenen Dezember noch einmal zahlreiche, auch unverkaufte Maschinen von Händlern für einen Tag kurz zugelassen, und dadurch stiegen die Zahlen noch einmal deutlich an.
Motorräder über 125 ccm wurden 117.587 Stück verkauft, das bedeutet 15 Prozent mehr.
Marktführer ist und bleibt weiterhin BMW mit knapp 20 Prozent. Dahinter Yamaha mit zwölf Prozent und dann mit elf Prozent drei Marken gleichauf: Honda und – überraschend weit vorne – Harley-Davidson und KTM. Kawasaki liegt schon ein Stück dahinter mit rund neun Prozent und dann abgeschlagen Suzuki mit 5,7 Prozent fast gleichauf mit Ducati (5,3 %) und Triumph (4,5%). Überraschende Newcomerin ist die wiedergeborene italienische Marke SWM, die auf Anhieb in ihrem ersten Jahr über 400 Maschinen verkaufen konnte. Auch der Harley-Kontrahent Indian aus den USA hat im letzten Jahr auf dem deutschen Markt bereits 911 Motorräder unters Volk gebracht, ein Plus von 73,5 Prozent. Vor wenigen Tagen erst wurde bekannt, dass der US-amerikanische Polaris-Konzern, zu dem Indian gehört, beschlossen hat, dessen zweite Motorradmarke Victory einzufrieren. Während es die legendären Indian-Motorräder seit 1901 gibt (und damit ist Indian zwei Jahre älter als Harley-Davidson), wurde Victory erst vor 18 Jahren gegründet, allerdings noch vor der Übernahme von Indian durch Polaris.
Zu den Segmenten: Gefragt waren im letzten Jahr vorrangig Roadster und Retro-Bikes, schwere Enduros und Cruiser (hauptsächlich der Marken Harley-Davidson und Indian). Die Marktanteile von Supersportlern und Superbikes sowie Tourenmaschinen blieb nach wie vor konstant gering.
125er-Maschinen für den Nachwuchs wurden ebenfalls mehr verkauft als im Vorjahr, auch hier also eine erfreuliche Tendenz nach oben.
Dazu kann ich Ihnen etwas aus dem Umfeld der Redaktion berichten: Fahrschulen vermelden auf einmal Wartezeiten. Wer sich im Raum Stuttgart im Sommer des vergangenen Jahres zum Motorradführerschein anmelden wollte, wurde darauf hingewiesen, dass vorerst nur die Theorie-Stunden belegt werden können. Praktische Fahrstunden auf dem Motorrad waren damals nicht möglich, da sämtliche Termine bis zum Winter belegt waren. Im Umkreis der jungen Leute der MO-Redaktion wurden mehrere Personen von einigen Fahrschulen auf den nun kommenden Sommer verwiesen. Der Boom macht sich also auch in Fahrschulen deutlich bemerkbar. Aktuelle Zahlen hierzu gibt es leider noch nicht.
Ungebrochen ist der Trend zum coolen Motorradfahren: Cafe Racer, Bobber, Scrambler, Bagger – das alles sind neue oder wiedergeborene Trends zur Individualität, die abweichen von den klassischen Nutzwert-Motorrädern. Sie alle gehen noch mehr in Richtung starker Optik mit der klaren Aussage: Ich fahre Motorrad nur zum Spaß, wann und wie ich will. Der Trend weg von der praktischen Allroundbekleidung, die auch bei Regen und Kälte funktioniert, hin zu legeren Jeans (mit abriebfesten Kevlar-Fasern und Protektoren) und klassischen Lederjacken hält an. Bei schlechtem Wetter widmet man sich heute lieber anderen Beschäftigungen als Motorradfahren. Die Freiheit, sich zu entscheiden, wird immer wertvoller.
Zum Schluss eine kurze Zusammenfassung: Die in ganz Europa geltende Euro-4-Norm hat viele Modellreihen aussterben lassen, aber um so mehr neue, attraktive Modelle hervorgebracht. Dabei konzentrieren sich die Motorradhersteller immer mehr auf klassische Motorräder und Naked Bikes und zitieren gerne von ihrer eigenen Vergangenheit. Highlights auf der Messe sind in meinen Augen die Ducati Scrambler Desert Sled, die BMW R nine T-Versionen Racer und Urban G/S sowie die beiden Triumph Bobber und Scrambler.

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