Speerspitze der E-Offensive: RS e-tron GT Prototyp beweist sich in ersten Tests

Formel-E-Pilot Lucas di Grassi testet seriennahen Elektro-Gran-Turismo „Technologien wie im Formel-E-Rennwagen“

Ein Spätsommertag in Neuburg an der Donau. Vor dem Gebäude des Kompetenzcenters Motorsport von Audi steht ein seriennaher RS e-tron GT, umringt von vier Männern. Lucas di Grassi, Formel-E-Pilot von Audi Sport ABT Schaeffler und Champion der Saison 2016/17, diskutiert mit drei e-tron GT-Entwicklern: Dennis Schmitz kommt von Audi, Jaan-Mattes Reiling von der Audi Sport GmbH und Christian Schröder vom Entwicklungspartner PSW, einem Tochterunternehmen von Audi.Lucas di Grassi ist ein Vollprofi – am Steuer und abseits der Strecke. Der gebürtige Brasilianer, der heute in Monaco lebt, fährt seit 2012 für Audi. 2014 siegte er im ersten Rennen der damals neuen Formel E, drei Jahre später folgte der Titelgewinn mit Audi Sport ABT Schaeffler. 32-mal stand di Grassi in den vergangenen sechs Jahren für Audi auf dem Podium, damit ist der der erfolgreichste Pilot der Elektro-Rennserie.
Doch der Renn-Profi denkt weit über den Motorsport hinaus. Lucas di Grassi ist internationaler UN-Botschafter für saubere Luft – für ihn gehören technologische Innovation und nachhaltiger Klimaschutz ganz selbstverständlich zusammen. Und natürlich interessiert sich der Technikfan aus Monaco stark für das nächste E-Auto-Projekt von Audi, den e-tron GT. In Neuburg hat er Gelegenheit, den rein elektrisch angetriebenen Prototyp als RS-Modell auf der Teststrecke zu fahren. Für die Entwickler Schmitz, Reiling und Schröder ist es die Stunde der Wahrheit: Erreicht der seriennahe RS e-tron GT im Urteil des Rennfahrers die Ziele, die sie angestrebt haben?

Schmitz: Na Lucas, was sagst Du nach den ersten fünf Runden?
Di Grassi:
Das Auto macht Spaß! So ein Gran Turismo ist natürlich etwas ganz anderes als ein Rennwagen. Aber trotzdem gibt es viele Parallelen, besonders die starke Beschleunigung, die wie bei uns lange Zeit voll zur Verfügung steht. Von null auf hundert in deutlich unter vier Sekunden, auch in der fünften Runde noch – wie habt Ihr das gemacht?
Schröder: Du weißt ja, dass man für hohe und reproduzierbare Leistungsabgabe ein starkes Thermomanagement braucht. Wir haben im e-tron GT zwei Kühlmittelkreisläufe für die Technikkomponenten, die auf unterschiedlichen Temperaturniveaus arbeiten. Der kühlere von ihnen temperiert die Hochvolt-Batterie, der wärmere versorgt die E-Maschinen und die Leistungselektroniken. Dazu gibt es einen Kältekreis und einen Heizkreislauf für den Innenraum, den dein Rennwagen vermutlich nicht hat.
Schmitz: Wir können diese vier Kreisläufe über Ventile flexibel miteinander verschalten, beispielsweise als hocheffiziente Wärmepumpe für den Innenraum. Die anspruchsvollsten Anforderungen sind aber sicher die Kühlung der Hochvolt-Komponenten bei hoher Last und die Kühlung der Batterie beim schnellen Gleichstrom-Laden. Wir erreichen hier immerhin Leistungen von 270 kW, bei denen ordentlich Wärme entsteht.
Di Grassi: In der Formel E ist das sogar noch extremer. Wir kühlen die Batterie beim Laden mit Trockeneis aktiv unter die Außentemperatur herunter, damit wir im Rennen einen größeren Spielraum bei der Systemtemperatur gewinnen. Denn dort verlangen wir dem Antriebsstrang mit dem ständigen Wechsel zwischen Volllast und Rekuperation schon einiges ab, was natürlich die Batterie aufheizt und Energie kostet. Je extremer die Bedingungen, umso mehr muss ich auf Effizienz achten und mir den den Stromvorrat einteilen, um in den letzten Runden noch genug Power zu haben.
Reiling: Vorausschau ist auch bei uns wichtig, allerdings auf einer andere Ebene. Wir nutzen eine spezielle Funktion, um sicherzustellen, dass der Fahrer unterwegs mit möglichst hoher Leistung laden kann. Wenn das Auto eine längere Strecke mit aktiver Navigation fährt, macht der e-tron Routenplaner Vorschläge, wo man laden sollte. Etwa eine halbe Stunde, bevor die ausgewählte Säule erreicht wird, beginnt das Thermomanagement die Batterie vorzutemperieren, genau passend zu ihrem Ladestand und zur Leistung der Säule.
Der Audi e-tron GT hat einen ungewöhnlich kurzen Entwicklungsprozess durchlaufen. Sein Design-Freeze erfolgte sehr früh, auch weil Audi hier physische Modelle weitgehend durch virtuelle ersetzt hat. Der Entwicklungsprozess war sehr schlank, Entscheidungen fielen rasch und auf kurzen Wegen. Unter der Leitung von Audi übernahm PSW wichtige Anteile der Arbeit. Die Audi Sport GmbH verantwortete das Setup des Fahrwerks – und erhält dafür großes Lob von Lucas di Grassi.
Di Grassi: Was mir besonders gefällt, ist das Handling. Ihr sagt ja, dass das Auto als Gran Turismo auch guten Komfort bieten muss. Das ist für mich als Renfahrer nicht das ganz große Thema. Aber der Grip und die Präzision, mit der das Auto um die Ecken geht – das ist schon sehr
eeindruckend.
Reiling: Danke Lucas, das freut mich! Wir haben bei der Entwicklung versucht, alle Stärken zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzubringen, das auf Top-Niveau liegt. Und wir konnten bei der Technik aus dem Vollen schöpfen. Zum Beispiel sind die Dreikammer-Luftfedern, die wir hier einsetzen, das Nonplusultra auf ihrem Gebiet. Sie ermöglichen eine weiche Grundfederung, geben uns große Freiheitsgrade bei der Abstimmung und können die Karosserie auf verschiedene Höhenniveaus einstellen. Vor allem aber arbeiten sie perfekt mit den geregelten Dämpfern zusammen. Beide Systeme werden von einem zentralen Fahrwerkssteuergerät gemanagt und lassen sich über Audi drive select in mehreren Modi steuern. Für dich haben wir natürlich das schärfste Programm eingestellt.
Schmitz: Unsere Kunden können im e-tron GT praktisch alle State-of-the-Art-Technologien bekommen, die es heute gibt. Dazu gehört auch die Allradlenkung, bei der die Hinterräder einschlagen – gegensinnig bei niedrigem Tempo, um die Dynamik zu erhöhen, gleichsinnig bei höherem Speed der Stabilität zuliebe. Die Vorderachslenkung ist sportlich-direkt, aber nicht spitz übersetzt. Auch das ist typisch für unsere Gran-Turismo-Philosophie.
Di Grassi: Und der RS e-tron GT Prototyp bremst sehr gut – stark und exakt dosierbar. Das war bei einem so großen Elektroauto sicher auch nicht ganz einfach zu entwickeln…
Schröder: Du bist ja das seriennahe RS-Modell mit den Bremsscheiben aus Kohlefaser-Keramik gefahren – auch die gehören zum Besten, was es gibt. Serienmäßig hat der e-tron GT Stahlscheiben, optional gibt es Scheiben mit einer Beschichtung aus Wolframcarbid, die die Performance verbessert. Und wir haben das Auto auf die wahrscheinlich schönsten Räder gestellt, die es bei Audi je gegeben hat. Am faszinierendsten finde ich die großen 21-Zoll-Räder, wegen des tollen Designs und der aufwendigen Herstellung. Die 20-Zöller sind aerodynamisch am besten, und die 19-Zöller an der Vorderachse wiegen jeweils nur etwa 12,5 Kilogramm. Das bringt echte Vorteile im Handling und auch bei Verbrauch und Reichweite.
Energieverbrauch – das ist ein Stichwort, das Lucas di Grassi immer interessiert. Und zwar nicht nur in seinem Job als Rennfahrer in der Formel E, sondern auch als Vordenker beim Klimaschutz durch Innovation. Hier vertritt er die gleiche Philosophie wie die AUDI AG: Elektromobilität ist der richtige Weg in die Zukunft der nachhaltigen Mobilität – wenn der eingesetzte Strom aus regenerativen Quellen stammt. Bei den Vereinten Nationen ist di Grassi Botschafter für saubere Luft, in Brasilien engagiert er sich als Unternehmer für neue Technologien. In seiner Heimatstadt São Paulo hat er den Technologiekongress „Zero Summit“ ins Leben gerufen.
Di Grassi: Anfang der 2010er Jahre habe ich mitgeholfen, die Formel E aus der Taufe zu heben, weil für mich klar war, dass elektrische Autos die Zukunft sein werden – auf der Straße und auf der Rennstrecke. Und je weiter diese Entwicklung voranschreitet, desto mehr spricht sie für sich.
Reiling: Wir haben ja mit dir eine gemeinsame Erfolgsgeschichte erlebt, die schon einige Jahre andauert. 2017 sind wir als erster deutscher Hersteller werksseitig in die Formel E eingestiegen, um zu zeigen, wie dynamisch, faszinierend und emotional das elektrische Fahren sein kann.
Schmitz: Vom Motorsport profitiert auch die Entwicklung unserer Serienfahrzeuge, und dort wollen wir an der Spitze des Wandels stehen. Bis 2025 wird Audi rund 30 neue Elektroautos und Plug-in-Hybridmodelle auf den Markt bringen und dabei jede Baureihe elektrifizieren. Klar ist natürlich, dass Elektromobilität nur mit sauberem Strom wirklich nachhaltig ist. Nachhaltigkeit ist unser Anspruch und zugleich eine absolute Notwendigkeit für unseren weiteren Erfolg.
Schröder: Lucas, Du kommst ja viel auf der Welt herum und kennst auch die Umweltprobleme auf anderen Kontinenten. 2019 warst du für die Vereinten Nationen in Neu-Delhi und hast dort die Dokumentation „The Race for Clean Air“ gedreht. Worum ging es da?
Di Grassi: Ich wollte einen bestimmten Gedanken wecken, der uns allen Mut machen soll. Neu-Delhi ist eine der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung – und wenn dort Lösungen für besseren Umweltschutz gefunden und angewendet werden, dann ist das überall möglich. Ich bin fest davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit auf Technologie und Innovation basieren muss. Denn nur wenn nachhaltige Lösungen kein Kompromiss, sondern gleichzeitig auch die besseren Lösungen sind, werden sie sich durchsetzen.

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