100 Millionen Euro pro Jahr – so groß ist laut dem österreichischen Bundeskriminalamt (BKA) der Schaden in Österreich und Deutschland, den die Cybercrime-Industrie mit Online-Tradingplattformen für binäre Optionen, Forex, Kryptowährungen und ähnlichen Finanzprodukten jährlich verursachen. Die Opfer sind zumeist Kleinanleger.
Beispiele solcher betrügerischer Online-Tradingplattformen sind Option888, xTraderFX, OptionStarsGlobal, SafeMarkets und GetFinancial, aber das sind nur einige wenige von hunderten. Die Strukturen der kriminellen Betreiber dieser Plattformen sind international und über Offshore-Gesellschaften intransparent verschachtelt. Auch in Vorarlberg sind mittlerweile zahlreiche Fälle bekannt, bei denen Menschen aufgrund der Machenschaften dieser Netzwerke in den Ruin getrieben wurden. „Und dabei haben die Leute nur den Fehler gemacht, sich meist aus reiner Neugierde auf einer solchen Tradingplattform zu registrieren“, sagt Elfriede Sixt von der Wiener Organisation EFRI (European Funds Recovery Initiative), die versucht Geschädigten zu helfen und zumindest einen Teil des verlorenen Geldes zurück zu holen.
Wenn AK-Konsumentenberater Paul Rusching die Akten der Vorarlberger Geschädigten der Plattform „Option888“ durchblättert, bleibt ihm nur ein Kopfschütteln. Bei ihm sind zehn Fälle mit einem Schaden von mehr als einer Million Euro aufgelaufen. Die Dunkelziffer, so vermutet Rusching, dürfte allerdings wesentlich höher sein. Und es sind keine Einfaltspinsel, die auf die Cybercrime-Industrie hereinfallen: „Das sind Menschen wie du und ich, Abteilungsleiter von größeren Firmen, alles, quer Beet“, weiß der Konsumentenberater.
Mafiöse Netzwerke
Meist ursprünglich im „Gaming“ Bereich tätig, hat sich das Augenmerk vieler Internet-Betrüger inzwischen ganz auf das „Online Trading“ verlagert. Und der Schaden, der mit diesen Geschäften angerichtet wird, ist beinahe unvorstellbar. Die mafiösen Netzwerke agieren international: Die bei den Betrugssystemen Option888, XtraderFX und SafeMarkets verwendete Kundenmanagementsoftware „Tradologic“ und „PandaTS“ wurden in Israel entwickelt, die Call-Center der Betreiber befinden sich in Bulgarien, Serbien, Tschechien und im Baltikum. Zielpublikum der Call-Center ist vor allem Westeuropa, wobei das Hauptaugenmerk vor allem auf Großbritannien, Deutschland und Frankreich liegt.
Der Betreiber der Systeme Option888, Xmarkets und TradoVest – ein deutscher Staatsbürger – wurde vor einigen Wochen in Wien verhaftet, sein Geschäftspartner und Betreiber der Systeme Xtraderfx, SafeMarkets, CryptoPoint, GetFinancial, OptionStarsGlobal und anderen illegalen Seiten – ein Israeli – wurde in Sofia in Hausarrest genommen. Den beiden und weiteren Verdächtigen werden neben schwerem Betrug auch Geldwäsche und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Geleitet werden die Ermittlungen in Österreich von der Staatsanwaltschaft Feldkirch (wegen der Anzeigen durch die AK Vorarlberg, Anm.) sowie vom LKA Niederösterreich und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien. In Deutschland ist vor allem die Staatsanwaltschaft Saarbrücken zuständig.
Professioneller Auftritt
Die Vorgangsweise der Internetbetrüger ist strukturiert und perfekt orchestriert: Potenzielle Opfer registrieren sich auf einer Trading-Plattform. Innerhalb von fünf Minuten erhalten sie einen Anruf von einem Callcenter der Betreiber und werden animiert, mit dem Einsatz von lediglich 250 Euro einige Trades zu probieren. Durch die technisch hervorragenden Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden Softwaresysteme sei die Chance enorm, das eingesetzte Geld zu vermehren. Und so ist es dann auch. Schnell führen die ersten Geschäfte zu einem deutlichen Anstieg des Kontostands. Der dem Kunden zugeteilte, „professionellst auftretende Broker“ baut ein freundschaftliches Verhältnis auf, ermuntert zu weiteren Investitionen und die Kundenmanagementsysteme gaukeln eine heile Welt vor: Erfolgreiche Trades werden ebenso aufgelistet wie steigende Kontostände und Kursentwicklungen. Was die Opfer in diesem Moment noch nicht wissen: Diese Welt gibt es in der Realität nicht, es ist alles nur eine Illusion, das investierte Geld ist längst weg.
Wenn der Kontostand tausende Euros erreicht hat, werden Boni für weitere Investitionen in Aussicht gestellt. Einziges Problem: In der Bonus-Zeit sind keine Auszahlungen von Kapital möglich. Aber egal, es läuft ja bestens.
Mit zunehmenden Investitionen und Erfolgen stellen sich plötzlich auch Verluste ein und die Kontostände fallen von hunderttausenden Euro ins Bodenlose. Die Erklärung erfolgt postwendend vom Call-Center: Der Broker habe Mist gebaut und wurde entlassen. Von nun an stünde der Senior-Broker zur Seite und mit einem „versicherten“ Recovery-Plan könne der alte Kontostand in vier Monaten garantiert wieder erreicht werden. Aber dafür wäre eine neue Einzahlung erforderlich.
Ein letzter Strohhalm und für viele Grund genug, sich zu verschulden und einen Kredit aufzunehmen. Dass für diesen Zeitraum keine Kapitalauszahlungen möglich sind, versteht sich von selbst. Ist offensichtlich, dass das Opfer endgültig über keine finanziellen Mittel mehr verfügt, fällt der Kontostand in wenigen Tagen auf Null und der sonst so überfreundliche Betreuer ist nicht mehr erreichbar. Wie hoch der Verzweiflungsgrad bei den Geschädigten zu diesem Zeitpunkt ist, ist kaum vorstellbar. Doch das Drama geht meist weiter.
Denn neben dieser hoch-professionellen betrügerischen Trading-Abzocke betreiben die Plattformen auch einen regen Daten-Handel. Adressen von Opfern werden weiterverkauft. Mit dabei sind sogar Firmen, die perfiderweise behaupten helfen zu wollen verlorenes Geld zurückzuholen.
So erhalten die Geschädigten in der Folge noch Wochen nach ihrem Verlust Anrufe von meist ebenfalls aus Israel stammenden Organisationen, die den verzweifelten Geschädigten als Gegenleistung für nicht unwesentliche Anzahlungen versprechen, die Rückholung des verlorenen Geldes zu ermöglichen. Auch dabei handelt es sich meist um Betrüger.
Europa schutzlos ausgeliefert
Europa ist dieser Art des Internetkriminalität momentan schutzlos ausgeliefert. Die Investitionen erfolgen anfänglich über Kreditkarten, die größeren Beträge werden dann per Banküberweisung geleistet. Dazwischen werden allerdings legale – und teilweise auch illegale – Online-Zahlungsdiensteanbieter geschaltet. Diese bekommen genaue Anweisungen, wohin das Geld zu fließen hat – Serbien, Bulgarien, aber auch Offshore. Das investierte Geld wird unmittelbar zur Bestreitung der Betriebs- und Verwaltungskosten der betrügerischen Systeme sowie zur Finanzierung der hohen Lebenshaltungskosten der Betrüger genutzt.
Laut Elfriede Sixt besteht derzeit noch die Möglichkeit, den Geldfluss nachzuvollziehen, und so zu versuchen, über Inanspruchnahme der involvierten Zahlungsdiensteanbieter eine Refundierung der investierten Gelder zu erreichen. Das könnte sich aber bald ändern. „Die Betrüger sind derzeit intensiv damit beschäftigt, das System auf Kryptowährungen umzubauen. Dann wird eine Nachvollziehbarkeit der Geldströme viel schwieriger bzw. verunmöglicht, weiß die gelernte Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin. Und weiter: „2016 war das goldene Jahr der Option888. Nach rund eineinhalb Jahren sind die Plattformen oft online derart in Verruf, dass sie aufgegeben und durch neue ersetzt werden.“ Laut Sixt ist dieses Cybercrime-Phänomen ein Europa-Problem. „Die europäischen Länder sind nicht auf die grenzenlose Internet-Ökonomie vorbereitet. Europa ist diesbezüglich ein Paradies für Betrüger“, so Sixt. „Polizei und Behörden in Europa arbeiten bei dieser Art von Verbrechen grenzüberschreitend noch viel zu wenig zusammen und damit sind europäische Kleininvestoren den international agierenden Internetbetrügern hilflos ausgeliefert. Die Leistung des LKA Niederösterreich in Sachen Option888, xtraderFx, safemarkets usw. kann diesbezüglich gar nicht zu wenig hervorgehoben werden.“
Hilfsangebot für Opfer
Da diese Tradingplattformen im Internet weiterhin aktiv sind, ist höchste Vorsicht geboten. „Wir appellieren dringend, von solchen Geschäften die Finger zu lassen. Ein Totalverlust des eingesetzten Geldes ist vorprogrammiert“, so Konsumentenberater Rusching. Bislang habe es nur Auszahlungen von wenigen hundert Euro durch die Plattform-Betreiber gegeben. Diese dienten allerdings nur dazu, die Kunden bei Laune zu halten und um missbräuchlich Vertrauen aufzubauen.
Ein Hilfsangebot richtet Rusching an alle Opfer: Die AK-Konsumentenberatung versucht gemeinsam mit der Initiative „EFRI“ von Elfriede Sixt (erreichbar unter www.efri.com) den Geschädigten Hilfestellung zu geben und von involvierten Organisationen und Institutionen unter Inanspruchnahme von Prozessfinanzierung die Refundierung von zumindest Teilen der entstandenen Schäden zu erreichen. „Außerdem hilft jeder angezeigte Fall uns und den Behörden das Netzwerk dieser Gauner genauer darzustellen und hoffentlich irgendwann zerschlagen zu können“, so Paul Rusching.
Weitere Infos: AK-Konsumentenberatung, Mag. Paul Rusching, Telefon 050/258-3024, paul.rusching@ak-vorarberg.at
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